In diesem Jahr feiert die Neuapostolische Kirche Stuttgart-West den 125. Geburtstag der Gemeinde in der Stuttgarter Rosenbergstraße. Die Gemeinde hat eine lange Geschichte – und eine Besonderheit, die weniger selten ist, als man denkt.
Sie war selbstbewusst, energisch und erfolgreich. Karoline Rosine Pfänder wurde am 27. Juli 1874 in Hausen am Bach im damaligen Oberamt Gerabronn geboren. Heute gehört der Ort zur Gemeinde Rot am See im Landkreis Schwäbisch Hall. Beruflich brachte sie es zur Directrice in der Wilhelm Bleyle oHG. Ihre Familie war stolz auf sie. Die benannte Firma war für ihre Strick- und Wirkwaren bekannt, wozu besonders Matrosenanzüge für Knaben zählten. Mitte der dreißiger Jahre waren dort rund 6.000 Personen beschäftigt. Als Directrice war sie eine leitende Angestellte in der Bekleidungsindustrie, die Modelle entworfen hat.
Familiär blieb sie ledig und wohnte im Haushalt ihrer verheirateten Schwester Emma Berta Paulus, geborene Pfänder in der Rosenbergstraße 72 in Stuttgart, also direkt in der 1905 als erstes Kirchengebäude in Württemberg gebauten Kirche, wo über dem Kirchenschiff eine Wohnung eingerichtet war.
Am 18. April 1909 trat sie der Neuapostolischen Kirche bei. Die Versiegelung führte Apostel Johann Gottfried Bischoff durch. Ein weiterer Eintrag unter der Rubrik „Amtseinsetzungen“ im Kirchenbuch lässt aufhorchen: Seit dem 12. Dezember 1909 war sie als Diakonissin tätig. Zudem war sie viele Jahre in ihrer Gemeinde Stuttgart-West Lehrerin im Kindergottesdienst. Am 26. Februar 1966 verstarb sie im hohen Alter von 91 Jahren.
Die Aufgaben der Diakonissinnen in der Neuapostolischen Kirche bestanden im karitativen und seelsorgerlichen Dienst für weibliche Mitglieder der Gemeinde. Anders als in der Katholisch-apostolischen Kirche übten sie zudem Funktionen im öffentlichen Gottesdienst aus. Ihr Amt entsprach jenem eines Diakons. So ist in der Ausgabe „Wächterstimmen aus Ephraim“, 8. Jahrgang, Nummer 101 unter den „Mittheilungen über die Reisen und Wirksamkeit der Apostel im November 1903“ zu lesen: „Aemter wurden eingesetzt 13 Priester, 26 Diakon[e], 2 Diakonissinen.“ Ähnliche Nachrichten sind auch in anderen Ausgaben zu finden. Im Ersten Weltkrieg wurden Diakonissinen wegen des Mangels an Priestern auch zur Spendung des Heiligen Abendmahls herangezogen. In den 1920er Jahren ging die Zahl der Diakonissinnen in Deutschland zurück. Die letzte Diakonissin in Deutschland erscheint in der Statistik für 1955.
Derzeit ist nicht bekannt, weshalb dieses Amt nicht fortgeführt wurde. Nur in einem Lehrwerk der Neuapostolischen Kirche, dem „Hülfsbuch“ von 1908, gibt es eine Aufgabenbeschreibung für Diakonissinnen. Über sie wurde zusammen mit Diakonen und Unterdiakonen geschrieben. Dem Diakonen- und Unterdiakonenamt waren nach Bedürfnis noch Diakonissinnen beigegeben. Diakonissinnen dienten besonders unter alleinstehenden Frauen oder Witwen, auch kranken Frauen. Sie mussten ein gutes Zeugnis in der Gemeinde haben, so die Darstellung. Diakonissinnen waren dann im Diakonat vertreten, wenn dafür in der Seelsorge für Frauen ein Bedürfnis bestand. Die knappe Aufgabenbeschreibung erinnert an katholisch-apostolische Kernaussagen über den Dienst der Diakonissen. Im Lehrbuch von 1916 wurde die Aussage dann verkürzt. Es hieß dort lediglich: „Nach Bedürfnis werden auch Jungfrauen und Frauen als Diakonissinnen bestellt.“
Eine dieser besonderen Frauen war die oben beschriebene Karoline Rosine Pfänder.