Die Geschichtsstudentin Yasmin Finbow aus England befasste sich mit der Geschichte ihres Großvaters, der 1943 im Zweiten Weltkrieg in Süditalien gegen die deutsche Wehrmacht gekämpft hatte. Sie wollte Licht in das Dunkel seines Lebens bringen – und in jenes von Helmut. Dessen Soldbuch befand sich im Nachlass ihres Großvaters, der es wohl an sich genommen hatte.
Helmut Gökeler war am 9. September 1943 bei einem Angriff der Alliierten bei Battipaglia gefallen. Die Stadt liegt in der Provinz Salerno in der italienischen Region Kampanien, etwa 80 Kilometer südlich von Neapel. Der Panzer, in dem sich Helmut befand, hatte einen Volltreffer erhalten. Seine letzte Ruhestätte fand der 19 Jahre alte Soldat auf dem Soldatenfriedhof in Monte Cassino, etwas mehr als 100 Kilometer nördlich von Neapel. Yasmin Finbow entschloss sich, die Familie von Helmut ausfindig zu machen und wandte sich an die Stadtverwaltung von Wendlingen. Schließlich lag das Soldbuch Anfang 2009 in den Händen der Schwester von Helmut, Gerda Schmidt, und seines Neffen Thomas Schmidt.
Helmut Gökeler wurde am 9. April 1924 geboren. Sein Vater Karl Gökeler (1898–1971) war von 1923 bis 1934 Gemeindeleiter der neuapostolischen Gemeinde Wendlingen. Die Familie wohnte in der Blumenstraße 29. Der kleine Helmut verlor schon mit fünf Jahren seine Mutter, die 1929 im Alter von 32 Jahren bei der Geburt ihres zweiten Kindes verstorben war. Der Junge war begabt; 1937 erhielt er in der achten Klasse ein sehr gutes Zeugnis. Seine „schlechteste“ Note war „gut“. Im Zeugnis wurde er auch als „charakterlich gut“ beurteilt. Im Mai 1938 begann er eine Lehre als Eisendreherlehrling in der Delmag Maschinenfabrik in Esslingen am Neckar. Dort arbeitete er bis 1942.
Am 9. September 1942, drei Jahre nach Kriegsbeginn und dem Angriff gegen Polen, kam der inzwischen 18-jährige Helmut zur Panzertruppe. Schon am 11. Oktober 1942 berichtete er von Böblingen aus seinem Onkel Karl über seine Rekrutenausbildung. Den letzten Sonntag habe er den ersten Ausgang erhalten, mit Begleitung des Unteroffiziers. Am folgenden Sonntag jedoch würden sie unbeaufsichtigt ausgehen können und „[…] da gehe ich nach Sindelfingen in den Gottesdienst, wo ich 45 Minuten laufen muß; aber das hat nichts zu sagen, schließlich ist ja dies immer noch die Hauptsache.“
Am 21. Februar 1943 schrieb er seinem Vater einen Brief aus Milowitz (tschechisch Milovice) nördlich von Prag. Er befand sich auf dem dortigen Truppenübungsplatz, in der Waffenmeisterei. Ihm war bekannt, dass er bald nach Sachsen versetzt würde und so bat er: „Schreibe mir bitte, ob in Kamenz in Sachsen eine Neuap[ostolische] K[irche] ist.“ Dann teilte er seinem Vater mit: „Ich gehe jeden Abend hinaus in den Wald u[nd] zwar, wenn es dunkel ist, u[nd] verbinde mich mit dem l[ie]b[en] G[ott] in aller Ruhe u[nd] auch mit Euch Lieben zu Hause […]. Sonntags lege ich mich auf die Falle u[nd] suche in Gedanken bei Euch im G[ottes] H[aus] zu sein. Genau so, wie du es mir geschrieben hast.“ Aus Sachsen meldete er sich am 11. Juni 1943 und bedauerte, an Pfingsten (13. Juni 1943) doch nicht zu Hause sein zu können, aber es ginge ihm gut. Er spekulierte, ob seine Truppe bald nach Südfrankreich versetzt würde und schloss den Brief, indem er seiner Familie „ein frohes Pfingsten“ wünschte.
In seinem wohl letzten, undatierten Brief, aus Süditalien, bedankte sich Helmut bei seinem Vater überschwänglich für zwei erhaltene Päckchen und die „lieblichen Zeilen“. Der Brief atmet einen tiefen Stimmungsumschwung und ist von Wehmut gekennzeichnet. Die bisherige, immer zuversichtliche, seiner Familie Mut zusprechende Haltung des gläubigen Helmut war gewichen. Er bekundete, dass ihm das Schreiben seines Vaters „Kraft und Stärke für die kommenden Tage gebe“. Er bat seinen Vater: „[…] sei doch bitte so gut u[nd] bitte, daß ich mich immer an das Gebet halten kann, denn [so] ist es dem Bösen nicht mehr möglich, mir etwas anzuhaben. Das Gebet ist das einzige, das mich mit dem Herrn verbindet […] Solche herrliche [Gottes]Dienste, die Euch jetzt gegeben sind, wünsche ich, nach dem Kriege, auch noch erleben zu dürfen. Möge mich doch der Herr bewahren, damit ich als wiedergeb[orener] Mensch von dem Wort leben kann, das durch den Mund Gottes geht.“ Dann hoffte Helmut auf Urlaub im Dezember und richtete „tausend Grüße aus weiter Ferne“ an seine jüngeren Schwestern Gerda (damals zwei Jahre) und Traudi (elf Jahre) aus.
Mit Datum vom 12. September 1943 meldete sich der Kompaniechef von Helmut, Hauptmann von Falkenhausen, bei Karl Gökeler: „Es ist mir schwer, Ihnen mitteilen zu müssen, dass ihr Sohn Helmut am 9.9.43 bei Battipaglia im Kampf gegen feindliche Panzer für Grossdeutschland gefallen ist.“ An diesem Tag hatte die Hauptinvasion der Alliierten bei Salerno begonnen, etwa 20 Kilometer nordwestlich von Battipaglia. Zuvor schon hatte es starke Luftangriffe gegeben, dann wurde die Einheit am 9. September von Schiffsartillerie unter Beschuss genommen. Am 10. und 11. September 1943 gingen die heftigen Kämpfe weiter. Doch es gelang Oberleutnant von Falkenhausen, Battipaglia den Engländern wieder zu entreißen. Offensichtlich wurde er deshalb zum Hauptmann befördert. Beim Vater von Helmut entschuldigte er sich für seine späte Mitteilung, weil er selbst verwundet worden sei. Der letzte, nun handschriftlich verfasste Satz lautete: „Mit dem Ausdruck des tiefsten Mitgefühls“. Helmut war einer von etwa 50.000 deutschen und 60.000 alliierten Soldaten, die in diesem besonders verlustreichen Kriegsschauplatz in Italien von 1943 bis 1945 gefallen waren. Die Invasion der alliierten Truppen in Italien hatte im Juli 1943 mit dem Angriff auf Sizilien seinen Anfang genommen.
Am 5. Oktober 1943 schrieb Bezirksapostel Georg Schall einen trostreichen Brief an die Trauerfamilie Karl Gökeler. Der Bezirksleiter und spätere Bezirksapostel Gotthilf Volz hielt den Trauergottesdienst am Sonntag, den 17. Oktober 1943, in Wendlingen. Er begann mit den Worten „Weinet mit den Weinenden“.
Ein junger, hoffnungsvoller und gläubiger Mensch hatte sein Leben für einen sinnlosen und verbrecherischen Krieg hergeben müssen. Eines gilt es noch nachzutragen: Am 11. Juni 1943 hatte Helmut einen weiteren, fast geheimnisvollen Brief aus Sachsen an seinen Vater gesandt. Er deutete darin an, dass er verliebt sei, meinte jedoch: „Ich denke aber, daß dies unter uns bleibt u[nd] von mir und Fridl niemand anders etwas erfährt […]. Sonst geht’s mir gut u[nd] ich u[nd] Fridl halten zusammen.“ Es blieb eine kurze, unerfüllte Liebe.